Es ist Ende November. Die Natur geht schlafen – man spürt es überall. Wiesen und Gras gaben ihr sattes Grün zurück, ein letzter vergessener Apfel hängt einsam am Ast des Apfelbaums und auf den kahlen, abgeernteten Feldern hört man das aufgeregte Geschrei der Krähen. Im Hausgarten blüht hier und da noch eine Rose, doch bald ist auch sie verblüht.
Ich sitze am Fenster und schaue den grauen Wolken nach, die die Gedanken in meiner Erinnerung beflügeln. Es war 1955 in Limburg und bereits die vorweihnachtliche Zeit zu spüren. Lautes Treiben von Kaufinteressenten in den Straßen und vor den Schaufenstern viele Schaulustige, die nach Geschenken suchten. Vor einem Spielzeugladen blieb auch ich stehen – eine Puppenküche in einem ganzen Puppenhaus weckte mein Interesse. Zwei kleine Mädchen standen neben mir und drückten sich fast die Nasen an der Schaufensterscheibe platt. Beiden war ihre Begeisterung in ihren hingebungsvollen Äußerungen anzuhören. Um zu vermeiden, dass sie mich bemerkten, verhielt ich mich ganz uninteressiert. Vor Aufregung über die Vielfalt und Schönheit im Puppenhaus waren beide ganz aufgeregt und traten von einem Fuß auf den anderen. Ich fragte mich, wie alt die beiden Mädchen wohl sein mögen – vielleicht kurz vor der Schulpflicht? Angesichts der so herrlichen Auswahl im Schaufenster fragte eines der Mädchen, was sich denn wohl ihre Freundin zu Weihnachten wünschen würde. Nur einen kleinen Wunschzettel, so antwortete sie, hätte ihre Mutter zugelassen, Vater sei arbeitslos und das Geld sei sehr knapp. Nun ja, tröstete ihre Freundin, wünschen dürfe man sich ja doch so manches. So wie eben ein solches Puppenhaus, von dem beide wussten, wie unerreichbar es für sie ist.
Eine in der Schaufensterecke aufgebaute und kunstvoll geschnitzte Krippe fesselte dann meine Aufmerksamkeit – allerdings ohne Preis. Was mag sie wohl kosten? Es ist seltsam, noch heute als Großmutter, die für die Aufstellung der Weihnachtskrippe verantwortlich ist, gehen mir meine Erinnerungen an diese Krippe nicht aus dem Kopf. Waren doch in der Heimat Krippen unter dem leuchtenden Weihnachtsbaum eine Selbstverständlichkeit und als wir die Heimat verlassen mussten, blieb auch hier mit den handgeschnitzten Krippen ein Stück lieb gewonnener Heimat und Kultur zurück. Wie Maria und Josef, so meine Erinnerungen, mussten meine Eltern mühsame Wege gehen. Sie waren müde, verzweifelt und in Tränen, bis ihnen eine Unterkunft zugewiesen wurde. Damals, in der offenen Feldschene von Bethlehem geschah ein Wunder, so wusste ich, als Maria Gottes Sohn zur Welt brachte.
Auch ein – sicher kleineres – Wunder war, wie viele Mütter der Heimatvertriebenen in diesen schweren Zeiten uns Kinder aus kalten Stuben bald ein wohlig warmes Heim schufen. Wie die hilfreichen Hirten damals, so erinnere ich mich, haben Menschen unsere Not erkannt und versuchten mit ihren, in der Nachkriegszeit spärlichen, Mitteln Linderung zu schaffen. Auch die in jenen Zeiten zu Christi Geburt anwesenden heiligen 3 Könige waren jetzt da und haben uns in eine gute Zukunft geholfen. Nur hießen sie Arbeit, Fleiß und Sparsamkeit.
Maria Kalig