Leserbrief

Energiewende mit Verstand

Jedes Mal, wenn ich durch Niederseelbach fahre, fallen mir die Plakate der BI auf: „Kein Solar auf Ackerland“. Ich fragte mich, ist da was dran und warum läuft durch das Netz ein Sturm von Rechtsaußen, Welt, BILD bis „Bauer Willi“ immer unter der Überschrift: DIE ARME NATUR, DA WAR VORHER NUR NATÜRLICHER ACKERBAU UND JETZT IST DA ALLES TOT – UND VERHUNGERN WERDEN WIR AUCH FÜR EIN BISSCHEN STROM!“

Die Sache ist nur: Ich habe mal nachgeforscht und nachgerechnet. Das genaue Gegenteil ist wahr.

Wenn ihr einen Freiflächensolarpark seht, seht ihr:

– eine extensive und artenreiche Schafsweide

– Boden, der sich 25-30 Jahre erholen und Humus aufbauen kann

– eine gegenüber allen Energiepflanzen extrem effiziente Flächennutzung zur Energieerzeugung

Eine Freiflächen-Solaranlage erzeugt 50mal so viel Energie pro Hektar wie eine Mais-Monokultur, hat 100mal so viel Leben, wird von Schafen beweidet und schützt Böden und Klima.

Die Stahlträger sind in einfach in den Boden gerammt. Die Anlage kann nach 30 Jahren problemlos zurückgebaut und recycelt werden. Wer genau hinschaut sieht, dass viel Platz neben und unter den Modulen ist.

Da können Gräser oder Wildkräuter in artenreicher Gesellschaft wachsen, die in regelmäßigen Abständen von Schafen beweidet werden.

Und diese Behauptung: „dass da dann ja kein Getreide angebaut wird und dadurch der Welthunger entsteht“? Hinterfragt doch mal den Fleischkonsum. Denn für den geht mehr Getreide drauf als auf allen Solarflächen jemals angebaut werden könnte. Dazu kommen noch die Ackerflächen für Hunde- und Katzenfutter oder die Pferdehaltung. Auch für Biodiesel werden riesige Flächen genutzt, die 100mal effizienter Solarstrom für Elektroautos produzieren könnten. Denn Solar und Elektroauto sind best friends, weil Elektroautos Akkus zum Zwischenspeichern haben. Da wäre dann auch das angebliche Speicherproblem, WEIL DIE SONNE JA NACHTS NICHT SCHEINT! nicht gegeben. So einfach könnte die Lösung sein. Ärgerlich für die Verbrenner-Fans.

Aber warum ist Photovoltaik so viel besser, wo Photosynthese doch so effizient ist? Ich hatte den Gedanken auch – aber Sorry: Natur ist verschwenderisch. Über das Jahr hat Photosynthese auf die Sonneneinstrahlung eine enttäuschende Effizienz von 1 %. Und dann wird nur ein Bruchteil der erzeugten Biomasse zu Strom. PV schafft locker 20 %, was dann im Ergebnis etwa 50mal so effizient ist.

Eine von Menschen erfundene Technologie die 50mal so effizient wie die Natur ist und dabei fast völlig nebenwirkungsfrei: Wem kann das keine Begeisterungsstürme entlocken?

7,5 % der Fläche Deutschlands werden für Energiepflanzen genutzt. Auf 16 % werden Futtermittel für die Tierhaltung angebaut.

Würden wir statt der Energiepflanzen Solaranlagen anbauen, gäbe das 2.400 Gigawatt (GW) Strom. Das würde rein rechnerisch reichen um Deutschland viermal mit Strom zu versorgen.

Und jetzt wirds noch krasser: Man könnte auf den Flächen sogar gleichzeitig noch Landwirtschaft betreiben. Denn mit Agri-Photovoltaik werden die Systeme quasi höher gelegt oder senkrecht gestellt. Darunter oder dazwischen kann „geackert“ werden.

Genug der Zahlen. Ich bin NICHT dafür jetzt die Biogaserzeugung aufzugeben. Wir brauchen sie in vertretbarem Maße für die Spitzenlast. Ich bin nicht dafür ganz Deutschland mit Solarparks zuzubauen. Solarparks sind auch keine Alternative zu Windrädern wie einige in Niedernhausen meinen.

Aber faktisch sind Solarparks selbst auf Ackerflächen ein Gewinn. Ein Gewinn für die Natur. Ein Gewinn für effiziente Stromerzeugung. Ein Gewinn selbst für die Landwirtschaft: Denn über die 25-30 Jahre solare Nutzung können sich die Böden erholen.

Und ja, noch ein wenig wünschenswerter wäre ein möglichst schneller Ausbau der PV auf Dächern und versiegelten Flächen. Aber dieser Ausbau ist tatsächlich deutlich teurer und ich weiß nicht ob ihr es mitbekommen habt: Wir haben es mit der Klimakatastrophe etwas eilig. Also so einen Hauch. Ein gaaaanz klein bisschen.

Warum dann nicht etwas in Maßen und mit Verstand machen, was nur gute Nebenwirkungen hat. Also außer natürlich, dass es die Optik von „Bauer Willi“ stört.

Michael Müller