Zeitenwende in der Außen- und Sicherheitspolitik
Die Sitzung des Deutschen Bundestages am Sonntag, den 27.02.22 war Ausdruck einer Zeitenwende. Das Zusammenstehen aller demokratischen Kräfte, vereint in der Analyse, dass wir es hier mit einem Angriffskrieg zu tun haben, dem jegliche moralische und politische Legitimation fehlt, ist einzigartig. Man kann es nicht deutlicher betonen: Präsident Putins Einschätzung, den Westen zu spalten, ist krachend gescheitert. Selbst DIE LINKE hat eine bedeutende und für sie wahrscheinlich schmerzhafte Wendung vollzogen und spricht ebenfalls von einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Nur die kümmerlichen Vertreter des rechtsnationalen Blocks gaben am Sonntag verdrehte Argumentationen ohne Sinn und Verstand ab.
Ich möchte meinen Beitrag heute als persönliche Meinung verstanden wissen, weil ich wiederspiegeln möchte, wie ich die letzten 40 Jahren bei den GRÜNEN in diesen Fragen erlebt habe. Zu Beginn spielten die verschiedenen Strömungen aus dem ökologischen, pazifistischen, feministischen und sozialen Milieus bedeutende Rollen und agierten eher nebeneinander als miteinander. Erst im Laufe der Jahre kristallisierte sich eine Ordnung in Inhalt und Form heraus.
Und logischerweise war und ist die pazifistische Strömung bei uns eine starke Kraft. Bei Themen, die diese Fragen herausfordern, wird dann auch erbittert gekämpft und diskutiert. Es mag für einige der Bielefelder Parteitag in Erinnerung sein. Am 13. Mai 1999 stimmte der Grüne Bundesparteitag über den Kriegseinsatz im Kosovo ab. Fischer bezahlte das mit einem geplatzten Trommelfell durch den Farbbeutelwurf eines Besuchers. Dass er trotzdem danach eine seiner besten Reden hielt, zeigt die Bedeutung des Themas.
In diesem Krieg wurden mindestens 25.000 bosnische Frauen systematisch vergewaltigt und Männer in Konzentrationslager eingesperrt. Die Bilder der abgemagerten Männer an den Zäunen der Lager sind mir noch gut im Bewusstsein!
Und erinnere mich sehr genau, wie wir in einer der ersten Sitzung saßen und uns den einen Satz, der unser politisches Verständnis antreibt, immer wieder vor Augen führten: „Nie wieder Auschwitz!“
Das muss man wissen, wenn man die heutigen Entscheidungen der Bundesregierung und insbesondere der GRÜNEN verstehen will:
Nie wieder einen Angriffskrieg zu führen zu wollen, ist die eine Lehre aus der „bedingungslosen Kapitulation“ Deutschlands von 1945. Dieser schreckliche Zweite Weltkrieg, der bis zum heutigen Tag Leid und Verzweiflung über die Menschen und die nachfolgenden Generationen bringt. Und nach wie vor traumatisierte Menschen ihr Kriegstrauma an spätere Generationen weitergeben. Nationalismus und Intoleranz sind überall in der Welt die Wurzeln dieses Übels.
Und was sage ich heute meiner 87jährigen Mutter, die wieder „ihren Rucksack“ packen will um zu fliehen? Wie entscheide ich mich, wie entscheiden wir uns jetzt, wenn es darum geht einen Aggressor zu bekämpfen, der Menschen die Freiheit nehmen will und nicht davor zurückschreckt die Zivilbevölkerung abzuschlachten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen.
Die Bedrohung unseres Kontinents kann man zivilgesellschaftlich und diplomatisch bekämpfen und wirtschaftlich sanktionieren. Wenn aber das alles zu einem Ende gekommen ist, muss man auch die militärische Variante zur Verteidigung gegen einen Angriff ins Kalkül ziehen. Und dazu muss man vorbereitet sein. Und wie Sie diesen Worten entnehmen, gehöre ich nicht zu den 100%igen Pazifisten in diesem Land. Ich bin Realistin.
Und ich zitiere die FAZ vom 28.02. mit dem Satz: „Wenn es nicht zynisch klänge, müsse man dem russischen Präsidenten fast dankbar sein, die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik aus ihrem Wolkenkuckucksheim auf den Boden der Tatsachen geholt zu haben.“ Und mehr noch, die europäischen Nachbarn in Polen und Ungarn müssen sich nun gut überlegen, auf welche Seite sie sich stellen. Sie könnten die nächsten sein.
Wir alle wissen am heutigen Tage nicht, wie der weitere Verlauf dieser Katastrophe sein wird. Und schon gar nicht, was sein wird, wenn der heldenhafte Kampf David gegen Goliath verloren geht. All das wird aber auf jeden Fall weitreichende und schwere Folgen für ein neugeordnetes Europa haben.
Deshalb ist es wichtig zusammenzustehen, Solidarität zu zeigen, den Menschen, die fliehen müssen, zu helfen und in der Politik zwar einen kühlen Kopf, aber doch einen klaren Blick zu behalten. Nichts zu tun, ist keine Option. Und ich danke ausdrücklich allen Fraktionen im Deutschen Bundestag dafür, in dieser schwierigen Lage zusammenzustehen.