Renaissance der Wehrpflicht?
Der CDU-Bundesparteitag hat beschlossen, dass sich die CDU wieder für ein verpflichtendes Dienstjahr einsetzen wird. Vergleichbar der früheren Wehrpflicht, die 2011 bloß ausgesetzt wurde, sollen alle junge Menschen verpflichtet werden, ein Jahr ihres Lebens dem Staat zu Diensten zu sein, für ein Taschengeld.
Ich fand besonders spannend, dass es immer wieder die Menschen sind, die diesen Pflicht-Dienst früher nicht durchmachen mussten, die sich heute ganz energisch dafür aussprechen. Ich selbst hatte 15 Monate Wehrpflicht absolviert, und mich hat diese Zeit zum politischen Engagement motiviert, ja, zum Liberalen Freiheitskämpfer gemacht. Wenn man Freiheiten, die man immer als selbstverständlich genossen hat, plötzlich entzogen bekommt, dann spürt man erst, welchen Wert die Freiheit hat. Ich wende mich gar nicht gegen die Art von Tätigkeit, ob militärisch oder sozial: ich bin Reserve-Offizier der Bundeswehr, ganz freiwillig. Aber ich will selbst Herr über meine Zeit und mein Leben sein. Ein Pflichtjahr funktioniert nur mit harten Konsequenzen: Wer damals nicht gehorcht hat, kam vorübergehend hinter Gitter, und eine Pflicht wird nur mit vergleichbaren Konsequenzen funktionieren, sonst finden die Jugendlichen sehr schnell ihre Wege, dem Zwang zu entfliehen. Ich wollte damals Informatik studieren, das war mein Plan, mein Traum vom Leben. Der Staat hat mich in eine Warteschleife geschickt, und die Mädchen meines Jahrgangs durften sofort studieren. Im Jahr 2022 wird eine Dienstpflicht, wie die CDU sie will, nicht mehr nur für Männer funktionieren, sondern alle Geschlechter werden dem Zwang unterworfen, wenn die CDU sich durchsetzt. Die Befürworter einer Dienstpflicht argumentieren auf zwei Wegen: zum einen ist da der erzieherische Aspekt, dass die jungen Leute sich stärker mit unserem Staat, unserer Gesellschaft identifizieren sollen, und zum Zweiten will man den Fachkräfte-Mangel in bestimmten Bereichen (Bundeswehr, Pflegekräfte, Feuerwehr / THW) damit beheben. Ich habe aber ein großes Problem damit, wenn der Staat moralisch in die Erziehung unserer jungen Leute eingreifen will; das ist nicht seine Aufgabe, und das Extrem-Beispiel der DDR ist das beste Beispiel für meine Sorgen. In der DDR haben die Jugendlichen schon in der Schule eine Ausbildung an der Waffe bekommen, und wurden auf den Sozialismus und den Kommunismus ausgerichtet; alle freiheitlichen Gesellschaftsordnungen wurden als schlimm verpönt in der schulischen Ausbildung, der Westen als aggressiver Gegner vermittelt. Der Staat ist schlicht nicht dafür zuständig, auf den Charakter junger Menschen einzuwirken. Den Fachkräfte-Mangel behebt man am besten, indem man die Jobs attraktiver macht: durch bessere Bezahlung, weniger bürokratische Vorschriften im Dienst und insgesamt bessere Arbeitsbedingungen. Ich bin der festen Überzeugung, dass freiwillige Tätigkeit dazu führt, dass die Arbeit professioneller gemacht wird. Wer für sich selbst sagt, dass die Pflege von Menschen zu ihm passt, der wird auch professioneller pflegen, als jemand, der gezwungen wird und keine Motivation für die Tätigkeit hat. Bei der militärischen Verteidigung ist es nicht anders, denn die Profis, die die heutigen komplizierten Waffensysteme über lange Jahre bedienen und beherrschen, verteidigen einfach besser. Liebe CDU, bei aller guten Absicht: Zwangsarbeit ist keine Lösung! Mache ich mir jetzt Sorgen, dass die Dienstpflicht kommt? Da kann ich Sie beruhigen. Im Deutschen Bundestag will außer der CDU nur die extreme Rechte eine Dienstpflicht. Das sind in der Theorie zusammen derzeit 35%, alle anderen Parteien lehnen diese Pflicht klar ab, und die CDU wird auch nicht mithilfe der AFD gemeinsam Gesetze beschließen. Die alte Wehrpflicht könnte mit einfacher Mehrheit wieder aktiviert werden, doch sie wäre heute verfassungswidrig durch den Widerspruch mit Artikel 3, nach dem niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt werden darf. Das Grundgesetz sieht in der aktuellen Fassung eine Wehrpflicht nur für Männer vor (Artikel 12a), und das war mit Artikel 3 im Einklang, so lange Frauen der Dienst an der Waffe verboten war. Heute würde der erste Mann, der mit der alten Regelung nun wieder gezwungen würde, sofort wegen Geschlechterbenachteiligung klagen, und er würde gewinnen. Die CDU müsste also das Grundgesetz ändern, um ihre Vorstellung durchzukriegen, und braucht dafür 67% der Stimmen im Bundestag – völlig utopisch, sofern die jetzigen Mehrheiten halbwegs stabil bleiben. Der Beschluss der CDU wird also keinerlei praktische Auswirkungen haben, aber er zeigt natürlich das grundlegende Verständnis der Konservativen in Bezug auf unsere Freiheiten.