Mobilität, Medizin, Technik: Rheingau-Taunus-Kreis holt Ausbildungsberufe zurück in die Region
- RTK und Wiesbaden planen erneut gemeinsames Konzept für Berufsschulentwicklung
- Leuchtturmprojekt von Stadt und Land gilt hessenweit als Vorbild für andere Regionen
- Bis 2027 werden sechs Zukunftsberufe schrittweise an die Berufsschulen im Rheingau-Taunus- Kreis zurückgeführt oder neu eingerichtet
Industriekaufleute, Zahnmedizinische Fachangestellte und Elektronikerinnen sowie Elektroniker – diese Berufe werden ab 2026 und 2027 wieder an den beiden Berufsschulen im Rheingau-Taunus-Kreis beschult. Damit können Schülerinnen und Schüler direkt vor Ort in noch mehr spannende und vor allem zukunftsträchtige Ausbildungsberufe starten. Bereits seit dem laufenden Schuljahr 2025/26 besuchen medizinische Fachangestellte sowie Anlagenmechanikerinnen und -mechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik aus dem RTK den Unterricht in den Beruflichen Schulen Untertaunus (BSU) in Taunusstein-Hahn. Ein besonderer Erfolg: Die Beruflichen Schulen Rheingau (BSR) in Geisenheim haben vom Hessischen Ministerium für Kultus, Bildung und Chancen den Zuschlag für die Landesfachklasse der Fachkräfte im Fahrbetrieb (FIF) erhalten. Damit werden ab diesem Schuljahr künftig alle angehenden Bus- und Bahnfahrerinnen und -fahrer Hessens direkt im Rheingau-Taunus-Kreis ausgebildet – statt wie bisher in Nürnberg. Für einen Flächenlandkreis ist das ein starkes Signal: Ausbildung – vor allem in Mangelberufen – findet dort statt, wo junge Menschen leben und gebraucht werden.
Projekt „Zukunftsfähige Berufsschule“
Landrat Sandro Zehner betont: „Gerade ein Flächenlandkreis wie der Rheingau-Taunus ist darauf angewiesen, jungen Menschen wohnortnah Perspektiven zu bieten – und in unseren Betrieben die Fachkräfte von morgen direkt vor der Haustür auszubilden. Zukunftsberufe in den Branchen Medizin, Technik oder Mobilität sichern nicht nur Arbeitsplätze, sondern stärken die Daseinsvorsorge und die Lebensqualität in unserer Region. Medizinische Fachangestellte sichern die wohnortnahe Gesundheitsversorgung in einer alternden Gesellschaft. Anlagenmechanikerinnen und -mechaniker für SHK tragen entscheidend zur Energiewende im Gebäudebestand bei. Elektronikerinnen und Elektroniker machen Gebäude energieeffizient und digital vernetzbar. Und Fachkräfte im Fahrbetrieb halten Busse, Bahnen und Straßenbahnen am Laufen. Alle diese Berufe sind Zukunftsberufe – ohne sie funktioniert kein moderner Landkreis. Mit dem Konzept „Zukunftsfähige Berufsschulen“ verbinden wir junge Menschen, Schulen und Betriebe – das ist gelebte Standortpolitik.“
Möglich wurden die Rückführungen durch den Schulterschluss zwischen dem Rheingau-Taunus-Kreis, der Landeshauptstadt Wiesbaden, den beruflichen Schulen, dem Hessischen Ministerium für Kultus, Bildung und Chancen, dem Staatlichen Schulamt und der Industrie- und Handelskammer sowie der Handwerkerschaft. Im Rahmen des Projekts „Zukunftsfähige Berufsschule“ haben alle Beteiligten konkrete Vereinbarungen getroffen, um die Ausbildungsberufe schrittweise wieder in den Rheingau-Taunus-Kreis zu holen.
Die Vereinbarungen im Einzelnen:
- Schuljahr 2025/2026: Medizinische Fachangestellte (MFA) an den Beruflichen Schulen Untertaunus (BSU)
- Schuljahr 2025/2026: Anlagenmechanikerinnen und -mechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik an den Beruflichen Schulen Untertaunus (BSU)
- Schuljahr 2025/2026: Fachkräfte im Fahrbetrieb als Landesklasse an den an den Beruflichen Schulen Rheingau (BSR)
- Schuljahr 2026/2027: Industriekaufleute an den Beruflichen Schulen Rheingau (BSR)
- Schuljahr 2027/2028: Zahnmedizinische Fachangestellte an den Beruflichen Schulen Untertaunus (BSU)
- Schuljahr 2027/2028: Elektronikerin/Elektroniker Fachrichtung Energie- und Gebäudetechnik an den Beruflichen Schulen Untertaunus (BSU)
Bis dahin erfolgt die Beschulung weiterhin in enger Abstimmung mit den Wiesbadener Berufsschulen (Louise-Schröder-Schule und Friedrich-Ebert-Schule). Alle bereits eingeschulten Jahrgänge schließen dort ihre Ausbildung ab.
Standortplanung für weitere Ausbildungsberufe
- Gemeinsam mit den Beteiligten konnte auch eine gemeinsame Vorgehensweise zur Beschulung des Berufes „Köchin / Koch“ festgelegt werden. Da beide Schulträger Investitionskosten getätigt haben und dieser Ausbildungsberuf sowohl in Wiesbaden als auch im Rheingau von großer Bedeutung im Hinblick auf die touristische Region ist, soll dieser an beiden Standorten weitergeführt werden.
- Der Beruf „Fachfrau / Fachmann für Restaurant- und Veranstaltungsgastronomie“ soll laut gemeinsamer Planung künftig an den Beruflichen Schulen Rheingau, die Ausbildung zur „Hotelfachfrau / Hotelfachmann“ an der Louise-Schröder-Schule Wiesbaden beschult werden – beides ab dem Schuljahr 2026/2027.
- Der Ausbildungsberuf „Kauffrau / Kaufmann im Büromanagement“ soll an beiden Standorten im RTK weitergeführt werden.
Berufsschulentwicklungsplan
Das Projekt „Zukunftsfähige Berufsschule“ ist ein Herzstück des gemeinsamen Berufsschulentwicklungsplans, für dessen Fortschreibung sich der Rheingau-Taunus-Kreis und die Landeshauptstadt Wiesbaden erneut ausgesprochen haben. Was auf den ersten Blick technisch klingt, hat handfeste Bedeutung für die gemeinsame Standortstärkung: Im Berufsschulentwicklungsplan wird nicht nur gemeinsam festgelegt, welche Ausbildungsberufe an welchen Standorten künftig beschult werden sollen, sondern auch wie Raum-, Personal- und Ausstattungsbedarf zu planen sind, Schülerströme sinnvoll verteilt werden können.
Die Erstellung erfolgt mit externer fachlicher Begleitung – federführend durch die Stadt Wiesbaden, da diese fünf und der Rheingau-Taunus-Kreis zwei Berufsschulen unterhält. Die finanzielle Beteiligung richtet sich nach der Schülerzahl: 85 Prozent trägt Wiesbaden (8.550 Schülerinnen und Schüler), 15 Prozent der Rheingau-Taunus-Kreis mit 1.431 Schülerinnen und Schülern. Die Planungsphase inklusive Beteiligung aller Akteure und der Erstellung eines Entwurfs wird rund ein bis eineinhalb Jahre dauern.
Landrat Sandro Zehner: „Der Berufsschulentwicklungsplan ist kein Papier für die Schublade, sondern ein praktisches Werkzeug, um Ausbildung so zu organisieren, dass sie den Bedürfnissen von Jugendlichen, Betrieben und Schulen gerecht wird. Stadt und Land planen hier nicht gegeneinander, sondern miteinander. Uns ist wichtig, dass Ausbildung dort stattfindet, wo die jungen Menschen leben – in greifbarer Nähe zu ihren Ausbildungsbetrieben. Denn: Wer seine Ausbildung in der Region machen kann, bleibt auch eher hier. Das stärkt unsere Wirtschaft, sichert Handwerk, Dienstleistung und Verwaltung und erhöht die Attraktivität unseres Landkreises als Lebens- und Arbeitsort.“
„Das ist ein Riesengewinn für unseren Kreis und für die Unternehmen im ÖPNV“
- Berufliche Schulen Rheingau bekommen Zuschlag für Landesfachklasse „Fachkräfte im Fahrbetrieb“
- Kürzere Wege und niedrigere Hürden für Auszubildende
- Wichtiger Beitrag für die Mobilitätswende im ländlichen Bereich
„Das ist ein Riesengewinn für unseren Kreis und für die Unternehmen im ÖPNV“, sagt Frank Engelhardt, Geschäftsführer vom Omnibusbetrieb Engelhardt GmbH in Heidenrod zum Start der Landesfachklasse für Fachkräfte im Fahrbetrieb an den Beruflichen Schulen Rheingau in Geisenheim. „Wir profitieren direkt davon, denn so finden wir schneller und leichter Nachwuchs.“
Gleich zwei junge Männer aus dem RTK haben in diesem Herbst ihre Ausbildung beim Omnibusbetrieb Engelhardt begonnen. Der 17-jährige Leon Gayer aus Niedernhausen kam nach einem Hauptschulabschluss und einem Berufsvorbereitungsjahr an der Berufsschule Untertaunus in Taunusstein-Hahn auf den Berufswunsch. Ausschlaggebend waren Gespräche mit Fahrern und zwei Praktika. „Ich finde es toll, unterwegs zu sein und mit Menschen reden zu können“, sagt er. Noch macht er den Autoführerschein, doch schon bald folgt – sobald er 18 wird – der große Schritt zum Busführerschein im Rahmen seiner Ausbildung.
Sein Kollege Mahad Mohamed Nuur (27) stammt aus Bad Schwalbach. Vor acht Jahren kam er aus Somalia nach Deutschland und arbeitete zuletzt bei der Entsorgung. „Ich hatte einen Job, aber keinen Beruf“, erzählt er. „Jetzt freue ich mich aufs Busfahren und den Kontakt mit den Fahrgästen.“ Beide Auszubildenden möchten nach ihrer Lehre im Unternehmen bleiben – ein Wunsch, der auch beim Arbeitgeber gut ankommt.
Ausbildung mit hohen Hürden
Denn der Weg zum Busführerschein ist in Deutschland besonders anspruchsvoll: 94 Pflichtstunden sind bei Auszubildenden unter 24 Jahren vorgeschrieben, bei Anfängern mit PKW-Führerschein B müssen es, je nach Dauer des Führerscheinbesitzes, zwischen 60 und 90 Stunden sein. Hinzu kommen Theorieprüfung und psychologische Untersuchung. Damit hebt sich Deutschland im europäischen Vergleich deutlich ab – während etwa in Österreich die Kosten bei rund 3.500 Euro liegen, belaufen sich die Ausgaben hierzulande auf 10.000 bis 14.000 Euro. „Das ist eine enorme Hürde für den Berufseinstieg“, erklärt Engelhardt. Sein Unternehmen übernimmt die Kosten für die Führerscheine der Auszubildenden – und tätigt damit eine Investition in die Zukunft.
Mobilität sichern – Nachwuchs fördern
Mit rund 80 Beschäftigten insgesamt (inkl. Touristik), davon ein Großteil mit Führerschein der Klasse D, ist der Linienverkehr das Hauptgeschäft von Engelhardt. Es wird ergänzt durch den Reisebusbereich. 4! Schon jetzt sei klar: „In wenigen Jahren gehen die ersten Fahrer bei uns in Rente, dann wird eine große Lücke entstehen. Umso wichtiger ist es, dass wir junge Menschen ausbilden können“, so Engelhardt weiter. Dazu gehört auch der eigene Fahrschulbus, mit dem die Azubis praxisnah trainieren können.
Der Rheingau-Taunus-Kreis stellt sich mit der Ansiedlung der Landesfachklasse zukunftssicher auf. Für die Auszubildenden vor Ort bedeutet das kürzere Wege und niedrigere Hürden – ein klarer Vorteil in einem Flächenlandkreis, in dem Mobilität eine zentrale Rolle spielt. Damit leistet die Region einen wichtigen Beitrag, damit die Mobilitätswende auch auf dem Land gelingen kann.
