Historischer Datenschatz im Stadtarchiv Eppstein aufgetaucht
Hinter jeder Karteikarte steckt ein Schicksal: Sonja von Saldern, Mitarbeiterin im Eppsteiner Stadtarchiv, hat hinter unbearbeiteten Aktenbergen einen alten Karteikasten entdeckt. Er enthält Meldekarten aus der Zeit ab 1942. 25 Karten verzeichnen polnische Journalisten, die ab August 1945 im Hotel Bienberg untergebracht waren. Das repräsentative Hotel wurde 1882 erbaut, einer Zeit des aufblühenden Fremdenverkehrs in Eppstein. Am 13. Mai 1945 wurde die K-Company der 70. US-Infanteriedivision mit 200 Mann nach Eppstein verlegt. Das Hotel Bienberg diente den Besatzern als Hauptquartier (Command Post). Im August 1945 zog die K-Company wieder ab. Ab diesem Zeitpunkt sind die polnischen Journalisten im Hotel Bienberg gemeldet, andere sind im Hotel Kaisertempel oder in privaten Haushalten einquartiert. Woher kamen all diese Zeitungsmacher? Die Karteikarten verraten, dass sie alle in Polen geboren sind. Einige haben für die polnische Zeitung „Kronika“ gearbeitet, waren möglicherweise lokale Berichterstatter. Sie wurden offenbar in der NS-Zeit inhaftiert. Bevor die amerikanischen Truppen sie in Eppstein einquartierten, waren sie in Lagern für befreite Zwangsarbeiter und aus Konzentrationslagern gerettete Menschen untergebracht, deren Standort häufig auf den Karteikarten vermerkt war: Helmstedt-Mariental (Durchgangslager für Flüchtlinge) oder Wiesbaden, Bamberg, Hofgeismar, Nürnberg, Ludwigsburg, Ulm und Celle. Wie von Saldern herausfand, waren unter den Zeitungsmachern auch zwei weibliche Journalistinnen, ein jüdischer Fotograf und eine jüdische Pressefrau. Die Ehefrau eines Journalisten hat kurz nach Kriegsende ein Kind bekommen. „Sie alle haben die NS-Zeit überlebt und wurden als sogenannte Displaced Persons in Eppstein untergebracht und bevorzugt behandelt“, so Stadtarchivarin Monika Rohde-Reith. Der Aufenthalt der Journalisten in Eppstein erstreckte sich von 14 Tagen bis hin zu fünf Jahren, auch darüber geben die Karteikarten Auskunft. Was ist mit diesen Menschen geschehen, nachdem sie Eppstein wieder verlassen haben? Unter dem Stichwort „verzogen“ prangt häufig eine leere Stelle, aber bei einigen Personen ist auch ein Stückchen ihrer Zukunft zu finden. So sind einige der Journalisten sind in die USA ausgewandert, nach Frankreich oder Spanien, andere sind nach Polen zurück in ihre Heimat gegangen, und fünf sind tatsächlich im zerstörten Deutschland geblieben. „Dieser Fund hat die einquartierten polnischen Journalisten aus der Anonymität herausgeholt und fragmentarisch einen Teil ihrer Geschichte erzählt“, freut sich von Saldern. Auch Zwangsarbeiter aus Frankreich, Russland, Polen oder Holland sind in den Meldekarten verzeichnet, meist wurden sie 1943 oder 1944 nach Eppstein verlegt und waren in der Turnhalle oder im Lager Vockenhausen untergebracht. Am 29. März 1945, als erste amerikanische Panzer nach Eppstein rollten, wurden sie befreit.