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Date(s) - 18/06/2021 - 20/06/2021
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Engenhahn 800 Jahre
Wir schreiben das Jahr 2020 und die Corona Pandemie bestimmt unseren Tagesablauf. Gerade in dieser herausfordernden Zeit bin ich dankbar als „Neubürger“ in Engenhahn mit seiner wunderbaren Taunuslandschaft leben zu können. Doch wie entstand mein Heimatdorf und wie veränderte es sich durch die Zeiten? Bei diesem Blick in die Vergangenheit folgte ich den Aufzeichnungen unseres Dorfchronisten Willi Schwarz.
Die erste urkundliche Erwähnung fand Engenhahn 1221 unter dem Ortsnamen „Unechinhagin“, festgehalten in einer Schlichtungsurkunde. Die die Grenzziehung zwischen den Grafenbrüdern Heinrich I. und Ruppert IV. mit dem Kapitel der Mainzer Kirche regelte. Nach der Überlieferung gründete ein Mönch namens Unicho aus dem Benediktinerkloster Bleidenstadt einen Meyerhof, gelegen etwa am heutigen Dorfmittelpunkt gegenüber dem Historischen Rathaus. Wallfahrer durchquerten damals unser Tal auf ihrem Fußweg zu den Gebeinen des heiligen Ferrutius, Kirchenpatron in Bleidenstadt. Aus der Bezeichnung Unicho im Haag (Wald) entwickelte sich Unechinhagin, später Enychenhahn oder Enychenhain – woraus schließlich Engenhahn wurde.
Von 1221 bis zur Reformationszeit fand sich nur eine kurze Erwähnung unseres Ortes. Sie betrafen die kirchliche Zugehörigkeit Engenhahns zu Oberjosbach, dass zu dieser Zeit von Chur-Mainz (Stephansstift Mainz) verwaltet wurde. Die Grafen von Idstein schlossen sich der Reformation an. Nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 galt die Regel „ cuius regio, eius religio“, wonach die Untertanen die Religion ihrer Landesherren annehmen mussten. Somit wurde Engenhahn evangelisch und gehörte zur Pfarrei Niederseelbach.
Die verheerenden Kriegswirren des 30jährigen Krieges entvölkerten fast ganz Niedernhausen, Königshofen und Engenhahn. Um das Idsteiner Land
wieder zu besiedeln holte Graf Johann von Nassau-Idstein (1627-1677) um das Jahr 1652 etwa 100 wallonische Familien katholischen Glaubens ins Land. Es waren Schmiede und Hüttenarbeiter aus dem Fürstbistum Lüttich. Diese durften ihren Glauben behalten, doch waren sie dem Pfarrzwang des protestantischen Pfarrers in Niederseelbach unterworfen. In dessen Aufgabenbereich fielen Taufen, Eheschließungen und Beerdigungen, somit auch die Führung der Kirchenbücher. Katholische Gottesdienste wurden in Oberjosbach gehalten, das zu Chur- Mainz gehörte.
Die welschen Siedler erwartete harte Arbeit, um ihre Familien mit dem Nötigsten zu versorgen. Die Höhenlage des Taunus, die Wetterbedingungen und die kargen Ackerböden versprachen wenig Ertrag. Doch der Engenhahn umgebende Wald bot Verdienstmöglichkeiten als Waldarbeiter, Köhler und Pottaschebrenner. Auch das Fangen von Wachholderdrosseln (Krammetsvögel), das Sammeln von Beeren und deren Verkauf in Wiesbaden brachte einen kleinen Zuverdienst. Zudem durfte das Vieh zur Mast in den Wald getrieben werden. Durch Wilderei, von der Obrigkeit schwer geahndet, konnte der sonst nicht sehr üppige Speisezettel bereichert werden.
Kaum konnte man wieder von geordneten Verhältnissen im Land sprechen, erwartete ein neuer Schicksalsschlag unser Dorf. Durch die 1666 grassierende Pest starben 23 Menschen. Engenhahn verlor ein Drittel seiner damaligen Bevölkerung.
Auf der Flucht vor den Verwüstungen durch den Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688-1697) fanden katholische Pfälzer Familien in Engenhahn eine neue Heimat. Trotz dieser widrigen Gegebenheiten schafften es die Bürger durch Fleiß und Zusammenhalt 1768 ein Backhaus zu bauen, das nach und nach erweitert als Schule, Rathaus, Kapelle, Feuerwehrhaus, Postfiliale und Wohnhaus bis heute den Ortsmittelpunkt prägt.
Mit den Napoleonischen Kriegen (1800-1815) und der Gründung des Reichsbundes (1806) wurde das alte Reich aufgelöst. In diesem Jahr wurde durch Napoleons Gnaden das Herzogtum Nassau gegründet. Dies führte zu liberalen Reformen wie Rechtsgleichheit, Gewerbefreiheit, Zivilehe, öffentliche Gerichtsverfahren, Abschaffung der Sonderrechte für den Adel. Der damals eingeführte Code Civil ist bis heute Grundlage unseres Rechtssystems. Da die Nassauer nun unter französischer Herrschaft standen, mussten ihre Soldaten an der Seite Napoleons im französisch/spanischen Krieg (1807-1814) ihren Blutzoll entrichten.
Die Engenhahner katholischen Glaubens waren ab 1806 nicht mehr gezwungen zum Gottesdienst nach Oberjosbach zu laufen, sondern in der Schlosskapelle des viel näher gelegenen Idsteins konnte die Messe zelebriert werden. Dies bedeutete immer noch im Sommer wie im Winter eine Stunde Fußmarsch. Obwohl im Jahre 1888 Engenhahn nur 232 Einwohner hatte, davon 38 evangelisch und 194 katholisch, begann man gemeinsam mit der Planung und dem Bau einer Kapelle, die am 7.Juni 1891 geweiht wurde. Da es sich nach katholischem Kirchenrecht nur um eine Filialkirche handelte, mussten die katholischen Engenhahner, um ihrer Christenpflicht nachzukommen, bis 1918 an Sonn- und Feiertage zur Messe in die Idsteiner Pfarrkirche gehen.
Ab 1817 bestand Schulpflicht im Herzogtum Nassau. Zuerst gingen die Engenhahner Kinder nach Niederseelbach, dann ab 1818 nach Königshofen. Schließlich ab 1820 hatte Engenhahn seinen eigenen Lehrer und die 30 Schüler wurden im Rathaus unterrichtet.1878 konnte die neuerbaute Dorfschule mit ca. 60 Schülern in der Talstraße Nr. 24 bezogen werden. die bis zum Jahr 1970 bestand. Seither gehen die Grundschüler Engenhahns zur Lenzenbergschule nach Niederseelbach. Heute nicht mehr zu Fuß sondern mit dem Schulbus.
Seit 1866 unter preußischer Herrschaft, ging die nationale Einigungsbewegung auch an unserem Dorf nicht spurlos vorüber. 1870/1871 wurden die, in Richtung Kaub am Rhein, marschierenden Truppen General Blüchers an der Trompeterstrasse bejubelt und es wurde ihnen Wasser und Milch gereicht. 1870 wurde auch die Bevölkerung im Rathaus gegen Pocken geimpft. Ab 1874 galt in ganz Deutschland die Impfpflicht gegen Pocken. Zwischen 1875 und 1880 sind die Bahnstrecken Frankfurt/Main nach Limburg/Lahn gebaut worden. Einige Familien der italienischen Bauarbeiter blieben in Engenhahn, wodurch die Schülerzahl auf 70 stieg. Mit der Eisenbahn und dem 1903 erbauten Bahnhof (1903-1971) zwischen Niederseelbach und Idstein – genannt „ an der Wasserscheide“ – konnten nun auch die Engenhahner zum Broterwerb die Städte Frankfurt/Main, Wiesbaden, Höchst/Main und Idstein erreichen. Nachdem die Waldarbeit und Landwirtschaft die Menschen mehr schlecht als recht ernährte, stieg der Lebensstandard der Engenhahner durch die Industrialisierung an. 1911 wurden die Häuser an das Wasser – und Abwassernetz angeschlossen.
Viel Not und Sorgen brachte der 1.Weltkrieg (1914-1918) und dessen Nachkriegszeit. Nur drei Engenhahner fielen im Krieg, jedoch durch die schlechte Ernährungslage bedingt, raffte die spanische Grippe viele, vor allem junge Menschen dahin. Dazu kamen die Belastungen durch die Einquartierung der französischen Besatzungstruppen bis 1921. In den 20er und 30er Jahren war der Luftkurort Engenhahn als Ausflugsziel der Bewohner der Großstädte des Rhein-Main Gebiets beliebt. Immer mehr Wanderer und Naturliebhaber fanden ihren Weg in den Taunus. Sogar ein Schwimmbad gab es in der Nähe des Forsthauses, dessen Förster eine gut besuchte Gartenwirtschaft betrieb. 1936 wurde die Autobahn mit der Theisstalbrücke gebaut. Für die Arbeiter gab es ein Lager an der Lenzenmühle.
Mit dem 2.Weltkrieg (1939-1945) kamen wieder Tod und Verderben über unser Dorf. 25 Tote und Vermisste waren zu beklagen und das bei einer Einwohnerzahl von ca. 400 Personen. Von Kriegseinwirkungen blieb Engenhahn selbst verschont. Ohne dass ein Schuss fiel, besetzten am 29. März 1945 die Amerikaner den Ort und requirierten einige Häuser für ein halbes Jahr, ehe sie nach Wiesbaden weiterzogen.
Die deutschen Städte waren zerbombt und Millionen Flüchtlinge suchten eine neue Heimat. Wohnraum und Lebensmittel waren knapp. Engenhahn leistete seinen Beitrag bei der Unterbringung und Verpflegung dieser Menschen. Viele blieben, brachten sich in das Vereins- und Gemeindeleben ein und bauten hier eine Zukunft
auf. Dies wurde erleichtert durch Omnibusse in Richtung Wiesbaden, die durch das private Busunternehmen Rheinland betrieben wurden – morgens und abends je ein Bus. Für die Farbwerke Höchst holte ein eigener Bus seine Mitarbeiter ab. Dessen Fahrer arbeitete während der Arbeitszeit seiner Fahrgäste als Lastwagenfahrer in der Firma.
Neue Baugebiete wurden ausgewiesen. Flüchtlinge – je zwei Familien – sollten in 50 Stahlheber-Häusern (Ständerbauweise aus heimischem Material) im Wildpark angesiedelt werden. Es gab weder Wasser- noch Stromversorgung, deshalb zogen nur zwei Familien ein. Da die Bevölkerung stark wuchs, wurde der Wildpark 1976 als Baugebiet ausgewiesen.
Um die Wasserversorgung für alle Bürger zu sichern, schloss sich 1974 Engenhahn
dem Wasserbeschaffungsamt Rhein-Main-Taunus an. Doch das Wasser war sehr kalkhaltig, was zu Schäden an den Wasserleitungen führte. Ab 1977, nach der Eingemeindung nach Niedernhausen, betrieb unser Ortsbeirat in zähen Verhandlungen den Wasseranschluss an das gute Niedernhausener Brunnenwasser, was endlich im Mai 1991 gefeiert werden konnte. Wir können uns seither an der Wasserqualität mit dem Härtegrad 1 erfreuen. Als weiteres Zeugnis für den Zusammenhalt des Dorfes ist das in Eigenleistung in 3-jähriger Bauzeit erbaute Sportlerheim des TSV Engenhahn (gegr.1977) zu nennen, das 1988 eingeweiht werden konnte.
Menschen aus 35 Nationen leben heute in unserem Bergdorf mit 1518 Einwohnern. Gerade in der jetzigen Situation, sollten wir uns alle die Frauen und Männer zum Vorbild nehmen, die in der Vergangenheit hier wohnten. Sie stellten sich den Herausforderungen ihrer Zeit, welche sie gemeinsam mit festem Willen und Zuversicht überwandten. Jedes Mal konnte die Gemeinde daraus gestärkt ihren Weg in die Zukunft fortsetzen.
Zu dem Fest 800 Jahre Engenhahn lädt unser Dorf am 18./19./20. Juni 2021 ein.
Elisabeth Pelster. Juli 2020 im Auftrag des Ortsbeirats Engenhahn
Engenhahn – Perle im Taunus. Foto by Heiko Kuckro – Kuckro-Verlag Niedernhausen |
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