Die konstituierende Sitzung der Gemeindevertretung am vergangenen Mittwoch mit den, im März bei der Kommunalwahl, neu gewählten Abgeordneten begann sogleich mit einer unerwarteten Überraschung. Erster Tagungspunkt war die Wahl des Vorsitzenden der Gemeindevertretung und seiner Stellvertreter. Die im Parlament vertretenen Parteien und Gruppierung hatten nach der Wahl in vielen Gesprächen Gemeinsamkeiten und Kooperationen ausgelotet und als Ergebnis kam eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen CDU und SPD zustande, in der in einer „Vereinbarung über die Zusammenarbeit der Fraktionen von CDU und SPD“ gemeinsame Positionen festgeschrieben wurden – aber auch Positionen, die nicht Bestandteil der Verabredung sind und bei denen „offen“ abgestimmt werden soll. Das Mehrheitsverhältnis im Parlament war denkbar knapp – 19 Stimmer der CDU/SPD standen 18 Stimmen der restlichen Gruppierungen gegenüber. Vereinbart wurde in der Partnerschaft ebenso ein Personalpaket, das die personelle Besetzung von Funktionen in den Gremien, darunter auch den Vorsitz im Gemeindeparlament regelt. Wir haben ausführlich berichtet.
Nach der Begrüßung durch Bürgermeister Joachim Reimann eröffnete traditionell das älteste Mitglied des Hohen Hauses, Frieder Rothenberger, die Sitzung. Die gleich am Anfang zu einem Eklat auszuufern drohte. Einen von Martin Oehler (OLN) mit erhobenen Armen geforderten Antrag zur Geschäftsordnung ließ der Altersvorsitzende nicht zu. Daraus entwickelte sich ein lautstarkes und lebhaftes Wortgefecht, das in der Drohung eines Ordnungsrufes und Hausverweises gipfelte. Niedernhausen würde ihm sehr am Herzen liegen, meinte Frieder Rothenberger in seiner Eröffnungsrede und er sei stolz, in einem so gesunden und leistungsstarken Heimatort zu leben.
Zur Wahlleitung wurde je 1 Mitglied aus allen 7 Fraktionen zur Assistenz ernannt, die beim Wahlprozess behilflich sein sollten. Vorgeschlagen zum Vorsitz der Gemeindevertretung wurden Lothar Metternich (CDU) und Alexander Müller (FDP. Die sich beide dem Gremium vorstellten. Der geheime Wahlausgang sorgte dann für eine faustdicke Überraschung. Nicht der eigentlich von CDU/SPD verabredete Lothar Metternich (18 Stimmen) erreichte die Mehrheit, sondern mit 19 Stimmen Alexander Müller. Eine Sitzungsunterbrechung diente zum „Setzen“ des unerwarteten Wahlergebnisses. In der natürlich über das „personelle U-Boot“ und seine Motive spekuliert wurde. Befragt, wie denn nun nach dem Debakel die getroffene Vereinbarung der beiden Parteien zu werten sei, war die Absicht zu hören, man wolle künftig daran festhalten. Unter der Leitung des neuen Vorsitzenden wurde dann mit großer Mehrheit die „gemeinsame Liste“ der Stellvertreter/Innen mit Heiko Wettengl (CDU), Tobias Vogel (SPD), Evelin Schönhut-Keil (Die Grünen) und Monika Schneider (WGN) gewählt.
Unter Tagungspunkt 9 wurde nun im Plenum über die Ergebnisse der Wahl vom März debattiert. Wie bereits berichtet, sind 345 Stimmzettel (8,6% der abgegebenen Stimmen) wegen „falscher“ Stimmzettel mit Aufdruck MUSTER für ungültig erklärt und nicht gewertet worden. Diese deutliche „Ungültigkeitsquote“ in Hessen, so argumentierte als erster Redner Heiko Wettengl, erfordere eine Suche nach der Ursache und eine „ernsthafte Lösung“. Da seien offensichtlich beim Eintüten der Wahlunterlagen für die Briefwahl Fehler passiert, die als solche vom Wähler nicht so ohne Weiteres als „falsch“ erkannt werden konnten. Daher, so die Überzeugung der CDU-Fraktion, wolle man dem Vorschlag der Verwaltung folgen, die 345 fraglichen Stimmzettel für gültig anzuerkennen und die Stimmen für das Wahlergebnis zu werten.
Marek Kortus (FDP) meinte, seine Fraktion sei grundsätzlich für eine Neuauszählung aller Briefwahlstimmen, die in einem zu gründenden Wahlausschuss dann zu einem korrekten Ergebnis führen sollten. Mit seinen grundsätzlichen Zweifeln an der Ordnungsmäßigkeit der Kommunalwahl forderte Martin Oehler (OLN) Neuwahlen und die Auszählung durch einen Wahlprüfungsausschuss. Für eine neue Feststellung des Wahlergebnisses war auch Tobias Vogel (SPD), die durch die Erklärung der Gültigkeit und Auszählung der Muster-Wahlzettel erreicht würde. Das habe, so sagte er weiter, ja erheblichen Einfluss auf das Stimmenverhältnis und damit die Sitzverteilung in der Gemeindevertretung. Die Forderung nach Wahlgleichheit aller Stimmen sowie nach uneingeschränkter Öffentlichkeit, so Stefan Hauf (Die Grünen), sei in dieser Wahl mit den 345 Musterwahlzetteln nicht gewährleistet gewesen und daher müssten dieser Umstand mit einer Gültigkeitserklärung und Wertung „geheilt“ werden. Dem stimmte Dr. Gerald Kroha (CDU) mit seiner Forderung nach einem „erkennbaren Wählerwillen“ zu. Weil er Mängel in der Vorbereitung und Durchführung der Wahl sowie im Prozess von der Aufstellung der Kandidaten bis zur Öffentlichkeit der Stimmenauszählung sieht, kündigte Martin Oehler juristische Schritte – „egal bei welchem Stimmenergebnis“ – an.
Schließlich lobte Bürgermeister Joachim Reimann die „angemessene“ Debatte, in der sachlich über die Wahlfehler gesprochen und eine Lösung gesucht wurde. Er bedauerte das Geschehen, vertraue auf seine Verwaltung und sagte eine Aufarbeitung im Rathaus zu. Unberechtigte Vorwürfe aber wies er zurück – so den nicht haltbaren Vorwurf zum Ausfall des Vote-Managers, der kreisweit passiert sei. Aber letztlich zu einem richtigen Endergebnis geführt habe. Auch er werde sich dem Mehrheitsbeschluss des Parlaments anschließen und stehe hinter dem Vorschlag seiner Verwaltung.
Alle Anträge von OLN, dem fraktionslosen Manfred Hirt und der FDP wurden von der Mehrheit der Gemeindevertreter abgelehnt. Die Ursprungsvorlage der Verwaltung mit dem Vorschlag, die 345 Wahlzettel mit dem Musteraufdruck für gültig zu erklären und ihre Auszählung in dass endgültige Wahlergebnis einfließen zu lassen mit deutlicher Mehrheit angenommen und beschlossen.
Eberhard Heyne
Bildunterschriften: 576 Altersvorsitzender Frieder Rothenberger begrüßt und übernahm zunächst die Leitung der Sitzung
- Blick in die – Corona bedingt – weitläufigen Sitzreihen des Gemeindeparlamentes
- Glückwünsche mit Blumen für den neu gewählten Vorsitzenden der Gemeindevertretung
584 Traditionell erhält der scheidende Vorsitzende – hier Lothar Metternich – die Sitzungsglocke der vorherigen Wahlperiode